- Naturgesetze: Zusammenhänge des Naturgeschehens erkennen
- Naturgesetze: Zusammenhänge des Naturgeschehens erkennenNaturgesetze, etwa das Gesetz zur Erhaltung der Energie, sind aus dem Naturgeschehen abgeleitete Regeln, die — liegen etwa bestimmte und experimentell verifizierbare Bedingungen vor — Voraussagen über die weitere Entwicklung gestatten. Im Gegensatz zu Gesetzen, die der Aufrechterhaltung gesellschaftlicher Normen dienen und einer gewissen Willkür unterliegen, versteht man Naturgesetze als Ausdruck einer kosmischen Ordnung, die allgemein gültig und unabhängig von menschlichen Konventionen ist. Ein Naturgesetz, das diesen Namen verdient, muss deshalb nicht nur auf der Erde gelten, sondern auch in entfernten Weltregionen, etwa auf einem Planeten in einer fernen Galaxie.Historisch haben sich die heute vorliegenden Naturgesetze mit der Vorstellung einer rekonstruktiven Erkenntnis entwickelt. Erkenntnis besteht demnach lediglich darin, die elementaren Bestandteile eines Systems zu entdecken und anschließend das System unter Berücksichtigung der Naturgesetze aus diesen aufzubauen. Auf diese Weise lässt sich ein Lebewesen letztlich auf Moleküle zurückführen, die ihrerseits aus Atomen, diese wiederum aus Elementarteilchen bestehen. Erkenntnisgewinn ist somit also Analyse und Synthese zugleich.Heute, am Beginn eines neuen Jahrtausends, sieht man den Erkenntnisgewinn durch das Studium und die Kenntnis der Naturgesetze von einer Warte, die weniger durch Analyse und nachfolgende Synthese geprägt ist. In den Vordergrund treten stattdessen die komplexen Wechselwirkungen der vielfältigen Stabilitätsformen der Natur — ausgehend von den kleinsten Teilchen bis hin zu den komplexen Systemen, seien es Galaxien oder Lebewesen. Die Reduktion eines komplexen Systems auf seine elementaren Bestandteile bedeutet nicht mehr, dass man das System selbst im Detail versteht. Systeme sind häufig zu komplex, um ihr Verständnis vollständig auf die Summe ihrer Bestandteile zurückzuführen.Und obwohl die Naturgesetze Aussagen über das Verhalten des Systems machen, bestimmen sie es nicht eindeutig. Letztlich ergibt sich die Entwicklung in der Natur aus der Dualität von Naturgesetz und Chaos. Das Naturgeschehen wird zwar in jedem einzelnen Schritt durch die Naturgesetze beschrieben, jedoch führt die vorliegende Komplexität und die Ungenauigkeit der vorliegenden Randbedingungen letztlich zu einem chaotischen, nicht vollständig vorhersehbaren Verhalten.Die klassische MechanikDie Erkenntnis, dass der Ablauf des Naturgeschehens durch Gesetze festgelegt wird oder zumindest durch Naturgesetze eingeschränkt wird, wurde erstmals im ausgehenden Mittelalter gewonnen. Johannes Kepler (1571 bis 1630) formulierte die ersten qualitativen Naturgesetze, die Kepler'schen Gesetze für die Beschreibung der Bewegung der Planeten.Eines der Kepler'schen Gesetze besagt, dass sich die Planeten auf Ellipsenbahnen bewegen, in deren Brennpunkt sich die Sonne befindet. Für Kepler war diese Einsicht ein Beispiel für die im Universum vorliegende kosmische Ordnung, die er mit göttlichen Attributen versah. Eine Begründung, warum sich die Planeten entsprechend seinen Gesetzen verhalten, konnte und wollte Kepler nicht geben. Dies blieb dem Begründer der klassischen Mechanik, Isaac Newton (1642 bis 1727), vorbehalten. Der Engländer stützte sich auf die Erkenntnisse des Italieners Galileo Galilei (1564 bis 1642) und schuf das Gerüst der klassischen Mechanik, die in der Folge auch zur Grundlage der Technik wurde. Newton schuf nicht nur die grundlegenden Begriffe der Mechanik. Er gilt auch als geistiger Schöpfer der Naturgesetze, die nur mit diesen Begriffen formuliert werden können. Letztere erwuchsen spontan aus der Erfahrung, die Newton mithilfe zahlreicher Experimente machte. Im Vorwort zu seinem Hauptwerk »Mathematische Prinzipien der Naturlehre«, erschienen 1687, beschreibt er seinen Zugang zu den physikalischen Erscheinungen: »Aus den Erscheinungen der Bewegung die Kräfte der Natur zu erforschen und hierauf durch die Kräfte der übrigen Erscheinungen zu erklären.«In der Tat ist eines der besonderen Merkmale unseres Universums die Bewegung: Galaxien bewegen sich, Sterne in Galaxien, Planeten im Sonnensystem. Das Merkmal der Bewegung gilt für kleine und große Dinge des Alltags ebenso wie für die unsichtbaren Bausteine der Atome. Im 17. Jahrhundert erklärte der französische Philosoph und Mathematiker René Descartes: »Man gebe mir Materie und Bewegung, und ich werde das Universum aufbauen.« Newton entwickelte eine quantitative Theorie der Bewegung, nach der Änderungen von Bewegungen das Resultat von Kräften sind. Mit Newtons Mechanik gelang es erstmals, die rein anschauliche Beschreibung der Erscheinungen durch ein quantitatives und rational erfassbares Schema von Ursache und Wirkung zu ersetzen.Um seine Naturgesetze zu formulieren, führte Newton die Begriffe von Masse und Kraft ein. Körper, deren Bewegungen keinerlei Kräften unterworfen sind, bewegen sich geradlinig und gleichförmig. Jede Abweichung von dieser Bewegung signalisiert das Vorliegen einer äußeren Kraft. Newton erkannte insbesondere, dass sich die Bewegung des Mondes um die Erde und die Bewegung der Planeten um die Sonne nur durch das Wirken der Schwerkraft erklären lässt, einer universellen Kraft, die zwischen massiven Körpern wirkt und deren Stärke durch die Newton'sche Gravitationskonstante festgelegt wird. Die Schwerkraft zwischen zwei massiven Körpern ist hiernach proportional zu dem Produkt der Massen der beiden Körper und verringert sich mit dem Quadrat der Entfernung.Das Newton'sche Gravitationsgesetz ist der Prototyp eines Naturgesetzes. Es macht eine quantitative Aussage über die Stärke der zwischen zwei Körpern herrschenden anziehenden Gravitationskraft, wobei die Stärke der Kraft noch durch eine Konstante bestimmt wird, der Gravitationskonstanten, die empirisch bestimmt werden muss. Newton konnte zeigen, dass man mithilfe seines Gravitationsgesetzes die Bewegung der Planeten, insbesondere also auch die Kepler'schen Gesetze, ableiten kann.Das dynamische Verhalten von mechanischen Systemen, die durch die Newton'schen Gesetze beschrieben werden, lässt sich eindeutig vorausberechnen. Ein Beispiel wäre eine Kugel, die von einer Kanone auf der Erdoberfläche abgefeuert wird. Sofern wir genau die Geschwindigkeit kennen, mit der die Kugel das Kanonenrohr verlässt, können wir die Bahn genau vorausberechnen, auf der die Kugel fliegen wird. Dieses Beispiel zeigt jedoch auch, dass die Naturgesetze selbst das Verhalten des Systems nicht eindeutig beschreiben, sondern dass es von den jeweiligen Anfangsbedingungen abhängt, im vorliegenden Fall von der Anfangsgeschwindigkeit der Kanonenkugel. Je genauer man diese kennt, umso genauer ist die Voraussage. Stets sind jedoch zwei Faktoren notwendig: zum einen die Kenntnis des wirkenden Naturgesetzes, zum anderen die Kenntnis der Anfangsbedingungen.An dem Wissensgebiet der Mechanik lässt sich gut verfolgen, wie sich Theorie und Experiment wechselseitig beeinflussen und befruchten. Induktion und Deduktion spielen hierbei eine große Rolle.Himmelsmechanik kontra AberglaubeWelche weit reichenden Folgen Newtons Erkenntnisse hatten, zeigt das Beispiel des Halley'schen Kometen. In dem plötzlichen Aufflammen eines Sterns, der einen langen, leuchtenden Schweif hinter sich herzieht, sah man im Mittelalter noch eine Störung der Harmonie des Himmels, die Kriege, Hungerkatastrophen und Epidemien nach sich ziehen konnte. Mithilfe der klassischen Himmelsdynamik war es nun möglich, die Bewegung eines Körpers im Sonnensystem genau vorauszuberechnen und Kometen als natürliches Phänomen zu entzaubern.So untersuchte der englische Astronom und Mathematiker Edmund Halley 1682 die Bahn eines Kometen, der mehrere Monate lang mit bloßem Auge gut sichtbar war. Halley wandte Newtons Theorie an und kam zu dem Schluss, dass der Komet sich auf einer ellipsenförmigen Bahn um die Sonne bewegt und für einen Umlauf 76 Jahre benötigt. Er sah in alten astronomischen Aufzeichnungen nach und fand, dass in den Jahren 1607 und 1531 tatsächlich große Kometen gesichtet wurden. Halley berechnete daraufhin genau den Tag, an dem sein Komet, der in der Folge nach ihm benannt wurde, wieder am Himmel auftauchen würde, ein Tag im Jahr 1758. Genau zur vorhergesagten Zeit erschien Halleys Komet am Himmel — ein Triumph für die Voraussagekraft der Naturwissenschaft und insbesondere für die von Newton begründete klassische Mechanik. Leider haben Newton und Halley diesen Tag nicht mehr erlebt.Die klassische Mechanik machte es nun zur Gewissheit: Kometen sind weiter nichts als normale Himmelskörper, die sich um die Sonne bewegen — sie mit den Ereignissen auf der Erde in Zusammenhang zu bringen, ist vollkommener Unsinn. 1986 wurde der Halley'sche Komet zum letzten Mal im vergangenen Jahrtausend gesichtet. Diesmal waren die Astronomen vorbereitet, und zur besseren Beobachtung des Kometen diente ein eigens dafür ausgestatteter Satellit. Halleys Debüt im neuen Jahrtausend wird im Jahre 2062 stattfinden.Einen weiteren Triumph feierte die Newton'sche Himmelsmechanik Mitte des 19. Jahrhunderts. Bis dahin schien es lange so, als wäre die Theorie Newtons nicht in der Lage, die Details der Bahn des Planeten Uranus zu beschreiben. So fanden Astronomen beim genauen Vermessen der Uranusbahn kleine Anomalien, die sie im Rahmen der Newton'schen Theorie der universellen Gravitation nicht ohne weiteres erklären konnten. Eine Erklärung, die nicht im Widerspruch zur Theorie Newtons stand, bot ein weiterer Planet jenseits des Uranus, der möglicherweise Ursache für die Bahnanomalie war. Astronomen konnten sogar die genaue Position des neuen Planeten angeben, der sich auf einer nahezu kreisförmigen Bahn mit einem Radius von ungefähr 4,5 Milliarden Kilometer um die Sonne bewegen sollte. 1846 wurde dieser Planet tatsächlich entdeckt und erhielt den Namen »Neptun«. Diese Entdeckung gilt noch heute als großer Triumph der Newton'schen Theorie, die auch kleinste Details in den Bewegungen der Himmelskörper zu erklären vermag.Kleine Abweichungen beobachteten die Astronomen auch bei der Bewegung des sonnennächsten Planeten Merkur. Auch hier dachten sie zunächst an einen weiteren Planeten. Tatsächlich war nicht ein neuer Himmelskörper für die scheinbare Störung verantwortlich — die Astronomen mussten dieses Mal das Newton'sche Gravitationsgesetz korrigieren. Die Lösung des Rätsels lieferte Albert Einstein: 1915 stellte er mit der Allgemeinen Relativitätstheorie eine Theorie auf, die die Gravitation noch genauer beschrieb.Naturgesetze und ErhaltungsgrößenIn der klassischen Mechanik treten zum ersten Mal Erhaltungsgesetze auf, deren Gültigkeit sich später als universell erweisen wird, die Erhaltung von dynamischen Größen wie Energie, Impuls und Drehimpuls. Wenn ein mechanisches System sich selbst überlassen bleibt, also nicht von außen beeinflusst wird, bleibt seine Energie erhalten — sie ändert sich nicht im Lauf der Zeit. Man kann die Energieerhaltung direkt von den Newton'schen Gesetzen ableiten.Ein genaueres Studium zeigt jedoch, dass die Energieerhaltung ein sehr allgemeines Konzept ist und direkt mit der Struktur von Raum und Zeit zu tun hat. Ein wichtiges Prinzip der Newton'schen Dynamik ist, dass der dynamische Ablauf eines Systems nicht von der absoluten Zeitskala abhängig ist. Bei einem abgeschlossenen System spielt es keine Rolle, wie man den absoluten Zeitpunkt wählt. Der Ablauf einer Uhr beispielsweise hängt nicht davon ab, wann man sie in Gang setzt. Der Zeitablauf ist homogen. Die Energieerhaltung ist direkt eine Konsequenz dieser Homogenität der Zeit.Beeinflusst man hingegen ein System von außen, dann ist die Homogenität der Zeit nicht gewährleistet, da der Zeitpunkt des Eingriffs diese Homogenität stört. Aus diesem Grund ist die Energie in einem solchen Fall im Allgemeinen nicht erhalten.Neben der Zeit ist auch der Raum, in dem sich das dynamische Geschehen abspielt, homogen, wenn es sich um ein abgeschlossenes System handelt. So ist der Gang einer Uhr unabhängig davon, ob sie sich an einem bestimmten Ort oder zehn Meter daneben befindet. Die Homogenität des Raums führt zur Erhaltung des Impulses. Der Impuls, eine von Newton eingeführte Größe, ist das Produkt von Masse und Geschwindigkeit. Für ein abgeschlossenes System bleibt diese Größe erhalten, ändert sich also nicht im Lauf der Zeit. Auch die Erde, die sich um die Sonne bewegt, besitzt einen Impuls. Dieser ist jedoch nicht erhalten, da die Homogenität des Raums durch die Anwesenheit der Sonne und deren Gravitationsfeld zerstört ist.Unser Raum ist nicht nur homogen, sondern auch isotrop. Keine Richtung des Raums ist besonders ausgezeichnet. Diese Isotropie des Raums führt zu einer weiteren Erhaltungsgröße, der Erhaltung des Drehimpulses. Der Drehimpuls eines abgeschlossenen Systems ändert sich im Lauf der Zeit nicht. Die Gravitationskraft der Sonne zeichnet keine besondere Richtung aus — in jeder Richtung ist die Anziehung gleich groß. Deshalb ändert sich der Drehimpuls eines Planeten im Schwerefeld der Sonne nicht. Nicht nur der Drehimpuls des gesamten Sonnensystems ist zeitlich konstant, sondern auch die Drehimpulse der einzelnen Planeten. Eines der Kepler'schen Gesetze lässt sich direkt aus der Drehimpulserhaltung ableiten und hat demzufolge nichts mit der speziellen Struktur der Gravitationskraft zu tun, sondern nur mit deren Richtungsunabhängigkeit.Die klassische Physik und der ElektromagnetismusEin anderer Zweig der Physik, dessen Erkenntnisse sich von wenigen Naturgesetzen ableiten, ist die klassische Elektrodynamik. Makroskopische Körper besitzen nicht nur eine Masse, sondern können auch elektrische Ladung tragen. Während sich nach dem Newton'schen Gravitationsgesetz alle massiven Körper anziehen, ist das Kraftgesetz bei Ladungen komplizierter. Gleiche Ladungen stoßen sich ab, ungleiche Ladungen ziehen sich an. Elektrisch geladene Körper beeinflussen sich auch durch magnetische Kräfte, die auftreten, sobald sich elektrische Ladungen bewegen. Erst dem schottischen Physiker James Clerk Maxwell (1831 bis 1879) gelang das Kunststück, sowohl die elektrischen wie auch die magnetischen Kräfte durch eine vereinheitlichte Theorie des Elektromagnetismus zu beschreiben.Die Maxwell'schen Gleichungen des Elektromagnetismus gehören zu den größten Erfolgen der quantitativen Naturbeschreibung mithilfe der Physik. Sie beschreiben alle elektromagnetischen Phänomene — von den elektromagnetischen Feldern, die man in den Galaxien beobachtet, bis hin zu elektromagnetischen Feldern, die nur den Bruchteil der Ausdehnung eines Atomkerns messen. Gleichzeitig beschrieb Maxwell mit seinen Gleichungen das Verhalten von Phänomenen, die nichts mit elektrisch geladenen Körpern zu tun haben, insbesondere von elektromagnetischen Wellen. Bewegen sich elektrisch geladene Körper ungleichförmig, strahlen sie stets elektromagnetische Wellen ab, die sich mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum bewegen. Dass hierbei die Lichtgeschwindigkeit eine besondere Rolle spielt, ist kein Zufall. Denn auch das Licht ist ein elektromagnetisches Phänomen. Seine Ausbreitungsgeschwindigkeit ist in der Theorie des Elektromagnetismus eine Naturkonstante: Sie liegt bei 299792,458 Kilometern pro Sekunde.Neben den klassischen Begriffen wie Masse oder Impuls tritt in der Theorie des Elektromagnetismus ein neuer Begriff auf: das elektromagnetische Feld. Ein elektrisch geladener Körper beeinflusst den Raum um sich herum — er besitzt ein Feld. Wird der Körper schnell und ungleichförmig bewegt, kann sich dieses Feld teilweise vom Körper lösen. Der Körper strahlt eine elektromagnetische Welle ab — nichts anderes als ein elektromagnetisches Feld, das sich mit Lichtgeschwindigkeit durch den Raum bewegt. Wie massive Körper tragen elektromagnetische Felder auch Energie, Impuls und Drehimpuls.Die klassische Physik und ihre VoraussagekraftSowohl die klassische Mechanik als auch die Elektrodynamik bilden die klassische Physik. Beide Gebiete haben eines gemeinsam: Ihre Phänomene lassen sich durch eine geringe Zahl von Naturgesetzen beschreiben. Hierbei gilt: Kennt man den Zustand eines physikalischen Systems zu einem gewissen Zeitpunkt, kann man sowohl in die Zukunft als auch in die Vergangenheit extrapolieren. Damit ist der Zustand des Systems zu jedem Zeitpunkt berechenbar, festgelegt durch die Naturgesetze und die Anfangsbedingungen.Dieses Gedankenmodell stand Pate für eine zu Beginn des 19. Jahrhunderts geradezu revolutionäre Idee: Einige Wissenschaftler wie der französische Physiker und Mathematiker Pierre Simon Laplace (1749 bis 1827) wagten es, die gesamte Welt als ein großes, physikalisches System zu interpretieren, dessen Verhalten die Gesetze der klassischen Physik bestimmt. Das Universum funktioniert demnach wie eine Art riesiges Uhrwerk, dessen Dynamik vollkommen determiniert ist. Im Prinzip, so schloss Laplace, könne man die Zukunft des Universums eindeutig vorhersagen, wenn man genau den Zustand des Universums zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit kennt. Zufall gibt es nach seiner Lehre nicht. Laplace folgte der Logik der klassischen Physik, die im Grund eine deterministische Theorie ist. Glaubt man, dass nur die Gesetze der klassischen Physik die Dynamik des gesamten Universums beschreiben, muss man in letzter Konsequenz auch seine Schlussfolgerung akzeptieren. Die Zukunft ist demnach genau festgelegt — man könnte sogar sagen, die Zukunft ist vollständig in der Gegenwart enthalten. Damit gibt es keinen Raum für eine Entwicklung im Universum. Die Welt wäre nichts weiter als eine Tautologie; alles wäre notwendig — Raum für Zufälle gäbe es nicht.Ein näherer Blick auf die klassische Physik zeigt jedoch, dass Laplace bei seiner extremen Auslegung der Naturgesetze unzulässig extrapoliert. So legen die Newton'schen Gesetze der Himmelsmechanik die Bahn eines Himmelskörpers nur dann exakt fest, wenn die Anfangsbedingungen genau bekannt sind, insbesondere die Geschwindigkeit zu einem festen Zeitpunkt. Beispielsweise lässt sich die Bahn einer Raumsonde, die auf eine Umlaufbahn um die Sonne geschickt wird, nur eindeutig voraussagen, wenn man den genauen Ort und die exakte Geschwindigkeit der Raumsonde zu Beginn kennt.Jede Messung ist jedoch mit einer Unsicherheit behaftet. Dies hat Konsequenzen für Voraussagen, da nach den Gesetzen der Himmelsmechanik Ort und Geschwindigkeit der Raumsonde in ferner Zukunft sehr sensitiv von den Anfangsbedingungen abhängig sind. Verändert man die Anfangsgeschwindigkeit der Sonde etwa um ein Tausendstel Millimeter pro Sekunde, ergeben sich nach Ablauf von vielen Jahren dramatische Folgen. Errechnete Positionen und Geschwindigkeiten können dann weit von den realen abweichen. Da die Anfangsbedingungen nie mit beliebiger Präzision gegeben sind, kann man auch nicht schließen, dass die künftige Position der Raumsonde eindeutig mit der berechneten übereinstimmt. Je weiter man in die Zukunft extrapoliert, umso ungenauer wird die Voraussage — bis sie schließlich so ungenau wird, dass man von einer Voraussage nicht mehr sprechen kann.Die klassische Physik ist also letztlich doch keine streng deterministische Naturwissenschaft. Das Fehlen einer absolut genauen Information über die Anfangsbedingungen infiziert sie mit dem Virus des Indeterminismus. Obwohl die vorliegenden Naturgesetze im Prinzip die Zukunft eindeutig vorschreiben, sind die Voraussagen mit Unsicherheiten behaftet, die umso größer werden, je länger man in die Zukunft extrapoliert.Prof. Dr. Harald FritzschWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Relativitätstheorie und die Einheit von Raum und ZeitGrundlegende Informationen finden Sie unter:Zeit: Die naturwissenschaftlich-philosophische Sichtweise
Universal-Lexikon. 2012.